Seit 2022 betont auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang dass Rechtsextremismus „die größte Gefahr für unsere Demokratie“ ist. Seit Jahren machen Expert:innen und wissenschaftliche Studien auf diese gesellschaftliche Entwicklung aufmerksam. Auch die Kriminalstatistiken zeigen ein deutliches Bild: Von 2011 bis 2023 stiegen die Gewaltstraftaten im Phänomenbereich „PMK – rechts –“ um mehr als 220 Prozent. Das Ausmaß von rechtsextremer Gewalt und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland bilden umfangreiche Datensätze und quantitative Studien ab: Die Amadeu Antonio Stiftung zählt allein zwischen 1990 und 2021 mindestens 219 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt. Der CeMAS-Report „Chronologie einer Radikalisierung: Wie Telegram zur wichtigsten Plattform für Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus wurde“ weist auf die Bedeutung einzelner Plattformen für antidemokratische Entwicklungen hin. Repräsentative Umfragen und Studien thematisieren die gefestigten und teilweise gestiegenen Zustimmungswerte für rechtsextreme Positionen der letzten Jahre.[1] Auch Beratungsstellen veröffentlichen jährlich Fallstatistiken rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Diese verschiedenen Erkenntnisse sind unverzichtbar, um zu verstehen, wodurch die aktuellen Entwicklungen begünstigt und beeinflusst werden und wie sich eine demokratische Gesellschaft im Anblick einer solchen Gefahr verhalten sollte.
Im Gegensatz zu diesen wichtigen Arbeiten zu Rechtsextremismus klafft hinsichtlich des Rechtsterrorismus in Deutschland bisher eine große Lücke. Die Erforschung des Themas beschränkt sich oft auf die Analyse einzelner Fälle, wodurch eine weitreichende, systematische Erfassung des Phänomens in Deutschland und die Entwicklung von Handlungskonzepten limitiert sind.
Zwar gibt es Datensätze, die rechtsterroristische Entwicklungen in Deutschland zu erfassen versuchen. Doch auch bei umfangreicheren Datensätzen stellt sich heraus, dass ihre Daten nur einen Bruchteil des tatsächlichen Ausmaßes abdecken, weil „es in der Natur von Terrorismus liegt […], dass viele, wenn nicht sogar die meisten Pläne und Komplotte nie öffentlich bekannt geworden sind“ (Koehler, 2017, S. 186). Das betrifft sowohl Anschläge, bei denen Täter:innen nicht ermittelt werden konnten, als auch Pläne, die von äußeren Einflüssen (z. B. erfolgreicher Ermittlungsarbeit) unterbunden wurden. Zudem haben viele der bestehenden Datensätze entweder einen Fokus auf Rechtsterrorismus vor der Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) im Jahr 2011[2] oder sie leiden an einer fehlenden Trennschärfe zwischen rechtsextremer Gewalt und Rechtsterrorismus, vor allem internationale Datensätze wie die Global Terrorism Database. Darüber hinaus stellen sich Auflistungen von ausschließlich ausgeführten Anschlägen oft als zu unzureichend heraus, um Aussagen über die gegenwärtige Entwicklung von terroristischen Aktivitäten treffen zu können. Das zeigt die jüngst im Journal of Conflict Resolution erschienene Studie „Plots, Attacks, and the Measurement of Terrorism“[3]. Anhand eines Datensatzes zum islamistischen Terrorismus in Europa belegen die Forscher:innen, dass durch eine Differenzierung von terroristischen Aktivitäten in ausgeführte Anschläge und Anschlagsplanungen detailliertere Aussagen über die Gesamtentwicklung von terroristischen Aktivitäten möglich sind. Sie beobachteten beispielsweise, dass eine Steigerung von Planungen eines islamistischen Anschlags in einem Jahr zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Anschlagsplanungen im Folgejahr führte, während bei ausgeführten Anschlägen eher das Gegenteil der Fall war. Einzelne Terrorismus beeinflussende Variablen standen je nach Art der terroristischen Aktivität in einem anderen Zusammenhang der jeweiligen Entwicklung. Beispielsweise ließ sich ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Level an rechtsextremer Gewalt und einer steigenden Anzahl von islamistischen Anschlägen beobachten, allerdings nicht auf Anschlagspläne. Die Forscher:innen schlussfolgern, dass eine differenzierte Betrachtung von ausgeführten Anschlägen und Anschlagsplanungen essenziell ist, um aussagekräftige Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung terroristischer Aktivitäten zu erhalten.
Um die gegenwärtigen Entwicklungen rechtsterroristischer Aktivitäten in Deutschland untersuchen und daraus Handlungsempfehlungen für deutsche Ermittlungsbehörden, Justiz, Medienschaffende und zivilgesellschaftliche Akteur:innen ableiten zu können, ist eine solche Datenbank unerlässlich. Das Projekt „Digital Seismograph: Monitoring Terrorism“ (DSMT) von CeMAS unternimmt mit der Sammlung von rechtsterroristischen Aktivitäten seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 einen ersten Schritt in diese Richtung. Die Daten erlauben erste Rückschlüsse auf den Umgang des Staates mit und die gegenwärtige Entwicklung von Rechtsterrorismus in Deutschland seit der Selbstenttarnung des NSU. Der Datensatz soll das bisherige Dunkelfeld beleuchten, kann aber kein vollständiges Abbild sämtlicher rechtsterroristischer Aktivitäten in Deutschland leisten, da unter anderem ein Großteil von verhinderten Anschlagsplanungen nicht durch Ermittlungsbehörden veröffentlicht worden sein dürfte. Die Daten werden jedoch fortwährend aktualisiert und umfassen neben ausgeführten Anschlägen in Deutschland auch Pläne, die kurz vor einer Ausführung verhindert werden konnten und auf rechtsterroristische Tatvorhaben hindeuten könnten.
In Deutschland ist die Strafbarkeit terroristischer Anschläge nicht unmittelbar im Strafrecht verankert. Im Fall eines Anschlags greifen vor allem die Tatbestände der vorsätzlichen Tötungsdelikte. Täter:innen werden dabei vor Gericht vor allem wegen Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) angeklagt.[4] Das Sonderstrafrecht des Terrorismus zielt darauf ab, schwere Straftaten früh zu verhindern, und umfasst folgende Paragrafen des Strafgesetzbuches:
Die Fälle von rechtsterroristischen Aktivitäten in Deutschland zeigen deutlich, dass die Paragrafen 89a StGB und 129a StGB bei der Verfolgung von mutmaßlich rechtsextremen und rechtsterroristischen Gruppen vermehrt Anwendung finden. Seit 2011 wurden insgesamt zehn Verfahren wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung wie das gegen die „Gruppe S.“ und acht Verfahren aufgrund der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wie das gegen „Fabian D.“ abgeschlossen. Im Hinblick auf laufende Prozesse wie dem um die Gruppe der „Patriotischen Union“ ist mit einem andauernden Trend zu rechnen. Dem stehen allerdings auch mindestens sechs Ermittlungen nach den Paragrafen 129a StGB und 89a StGB, die eingestellt wurden, gegenüber. Die hohe Anzahl von Ermittlungen nach den Paragrafen 129a StGB und 89a StGB lässt vermuten, dass Strafverfolgungsbehörden immer öfter bei rechtsextremen und rechtsterroristischen Gruppierungen und Personen auf diese Paragrafen zurückgreifen.
Ein Grund könnten die damit einhergehenden tiefgreifenden Ermittlungsbefugnisse sein. Dabei richtete der Paragraf 129a StGB nach seiner Einführung 1976 seinen Fokus zunächst auf linksradikale Gruppen, weshalb er auch als „Lex RAF“ bezeichnet wurde. Die Hürde für den Einsatz tiefgreifender Ermittlungsmaßnahmen wie die Überwachung der Telekommunikation sollte damit gesenkt werden. 1986 wurde der Paragraf abermals verschärft, um gezielter gegen die Proteste von Atomkraftgegner:innen der 1980er-Jahre vorgehen zu können. Der Rechtswissenschaftler Mark Zöller weist im Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung auf die Schwierigkeit hin, dass Strafverfolgungsbehörden nur bedingt mit dem Paragrafen 129a StGB gegen gegenwärtigen Terrorismus vorgehen könnten, weil sie losen Netzwerkstrukturen und rein ideologisch verbundenen einzeln handelnden Täter:innen oft keine Vereinigungsstrukturen im Sinne des Paragrafen 129a StGB nachweisen könnten. Er verweist auch auf die gestiegene Bedeutung dieses Paragrafen für die Ermittlungen im rechtsextremen Bereich.
Insbesondere dann, wenn es bei möglichen Anschlagsplanungen nicht um eine Gruppe geht, sondern um einzelne Personen, findet der Paragraf 89a StGB verstärkt Anwendung. Der Paragraf 89a StGB wurde 2009 mit der Begründung der allgemeinen Sicherheitsbelange und der Gefahrenabwehr mit Blick auf die gestiegene Gefahr islamistischer Anschläge wie in Madrid 2004 oder London 2005 in Europa eingeführt. Unter Rechtswissenschaftler:innen führte die Einführung zu Kritik. So sei der Paragraf 89a StGB laut dem Rechtswissenschaftler Jens Puschke etwa „Teil eines Prozesses der Vorverlagerung und Erweiterung des Strafrechts“ und verstieße seiner Einschätzung nach gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Dadurch könnten Menschen verurteilt werden, ohne eine strafbare Handlung begangen zu haben.
Seit 2011 wurden bereits 18 Verfahren wegen Paragraf 89a oder 129a StGB abgeschlossen. Neben diesen Fällen finden sich auch jene eingestellten Ermittlungen sowie ausstehende oder noch nicht abgeschlossene Verfahren in Datensatz wieder, die nach den hier für Rechtsterrorismus klassifizierten Charakteristika ebenfalls auf rechtsterroristische Aktivitäten hinweisen. Zudem deuten die Berichte des Bundeskriminalamtes zur Rechtsextremismusdatei (RED)[5] auf eine Zunahme rechtsterroristischer Aktivitäten hin: Von 129 als „Mitglied/Unterstützer einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a StGB mit rechtsextremistischem Hintergrund“ gespeicherten Personen 2014[6] stieg die Anzahl um über 40 Prozent auf 182 gespeicherte Personen im Jahr 2023[7]. Im Jahr 2020 war sogar ein Höchststand von 199 gespeicherten Personen zu verzeichnen.[8] Die in diesem Datensatz zusammengetragenen Daten lassen die Vermutung zu, dass der Aufwärtstrend weiter anhält.
Die Bedeutung von Onlinewelten bei der Planung oder Umsetzung rechtsterroristischer Anschläge hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Allein seit 2016 lassen sich unter den 38 Fällen rechtsterroristischer Anschläge und Anschlagsplanungen neun Fälle feststellen, in denen sich die Radikalisierung bis hin zu Tatentschlüssen in besonderem Ausmaß auf Onlinevernetzungen zurückführen lassen. Die Täter:innen waren Teil von Chatgruppen und Online-Communitys, die einander ideologisch bestärken und ein Gefühl von Verbundenheit über den gegenseitigen Austausch schaffen. Dass sich die Mitglieder oftmals gegenseitig nicht mit bürgerlichem Namen kennen, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. In diesen Communitys tauschen sie Anleitungen zum Bau von Waffen aus, bewerten und glorifizieren Terroranschläge, besprechen Strategien zur Vorgehensweise bei Anschlägen und zur Auswahl von Zielen und motivieren sich gegenseitig darin, selbst zur Tat zu schreiten. Spätestens der antisemitische Anschlag von Halle 2019 veranschaulichte die tödliche Konsequenz dieser Vernetzung. Der Täter war zuvor nicht in Offline-Organisationen der extremen Rechten aktiv gewesen, sondern hatte sich vor allem in Online-Communitys radikalisiert. Die Verfahren zu den Anschlägen von München 2016, Halle 2019 oder spätere Ermittlungen wie bei Fabian D. 2020 in Bayern oder dem damals 21-jährigen Felix F. aus Niedersachsen 2021 zeigen, dass dieses Online-Umfeld oft unterschätzt wird und bei Ermittlungen eine untergeordnete Rolle spielt.
Insbesondere militant-akzelerationistische Gruppen wie die „Atomwaffen Division“ oder die „Feuerkrieg Division“ gewannen in Deutschland seit 2018 an Bedeutung. Das zeigen die Verurteilungen von Marvin E., der bereits funktionsfähige Sprengkörper baute, oder Fabian D., der einen Anschlag auf eine Moschee oder Synagoge plante. Seit 2019 wurden sechs Personen wegen ihrer (geplanten) Taten verurteilt, die dieser Ideologie zugerechnet werden können. Dabei handelt es sich vor allem um junge Männer, die sich online in rechtsterroristischen Communitys international zusammenschlossen. Darunter sind teilweise auch Kinder, wie der Fall eines 13-jährigen Schülers aus Köln im August 2023 zeigte. Was die konkrete Einschätzung der Szene zusätzlich erschwert, ist ihre internationale Vernetzung wie bereits der Fall des Rechtsterroristen von München 2016 zeigte. Aber auch für andere rechtsterroristische Netzwerke wie die „Gruppe S.“ oder die „Vereinten Patrioten“ ist die Onlinevernetzung als Kommunikationskanal immer wichtiger geworden. Soziale Medien dienen den Gruppen als Austausch- und Koordinierungsplattformen. Auch die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu rekrutieren, spielt dabei eine große Rolle.
Eine weitere zu beobachtende Entwicklung sticht in den letzten Jahren mit besonderer Brisanz heraus. Dazu gehört unter anderem die Gruppe „Vereinte Patrioten“ genauso wie die „Patriotische Union“ um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Ihnen gemeinsam ist die Fixierung auf Verschwörungsideologien, besonders auf die des verschwörungsideologischen Souveränismus von „Reichsbürgern“. Die Vorbereitung von gewaltsamen Umstürzen wird als zwingende Reaktion auf die Annahme verstanden, dass die gegenwärtige Gesellschaftsordnung das Mittel einer globalen Verschwörung sei. Diese Verschwörung durch eine, meist mit antisemitischen Chiffren belegte, Elite habe die Vernichtung der eigenen Gruppe zum Ziel, sodass eine Bekämpfung dieser Verschwörung in Form der liberalen Demokratie unausweichlich sei. Als bedeutsame Angriffsziele gelten politische Persönlichkeiten und Regierungsvertreter:innen, die stellvertretend für den liberalen und demokratischen Staat stehen, sowie dessen demokratische Institutionen und die Infrastruktur. Insbesondere Angriffe auf die kritische Infrastruktur sind bei der Planung eines gewaltsamen Umsturzes wie auch beim militanten Akzelerationismus ein primäres Ziel.
So soll eine Gruppe von sechs Beschuldigten aus der „Reichsbürger“- und „Prepper“-Szene Anschläge auf die Infrastruktur geplant haben. Dies hätte anderen gleich oder ähnlich gesinnten Gruppen als Startsignal dienen sollen, um ebenfalls tätig zu werden. Diese Vorstellung von der Aktivierung einer Kettenreaktion mit dem Potenzial, den so geschwächten Staat zu stürzen, findet sich auch im militanten Akzelerationismus wieder. Der herbeigesehnte „Tag X“, an dem diese Kettenreaktion ihren Lauf nimmt, ist in der rechtsextremen Szene ein zentrales Narrativ. Auch Gruppenmitglieder von „Nordkreuz“ oder der ehemalige Bundeswehrsoldat und Rechtsterrorist Franco A. bereiteten sich darauf vor. Anderen Gruppen dient ein Anschlag auf die kritische Infrastruktur als Mittel zum Zweck: Bei den „Vereinten Patrioten“ sollte ein herbeigeführter wochenlanger Stromausfall dazu dienen, den Staat entscheidend zu schwächen, die Frustration in der Bevölkerung zu befeuern und anschließend durch weitere Schritte wie die Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach oder eine sogenannte verfassungsgebende Versammlung den Umsturz zu ermöglichen.
Diese Entwicklung ist besorgniserregend und verdeutlicht einen gefährlichen Trend. Aufgrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks der vergangenen Jahre sind Gruppen entstanden, die davon auszugehen scheinen, dass es in der Gesellschaft einen nicht unbedeutsamen Teil gibt, der sich ebenfalls aktiv mit Fantasien eines gewaltsamen Umsturzes beschäftigt und zum Handeln bereit ist. Sie sehen sich als Teil einer weitreichenden Bewegung. Auch Anschläge aus einer solchen Gesinnung heraus sind dem Rechtsterrorismus zuzuordnen. Ihr Zweck ist die Beseitigung des demokratischen Systems auf Grundlage rechtsextremer Ideologien. Zugleich zielt ihr Handeln nicht nur auf psychologische Auswirkungen über das Opfer oder Ziel hinaus ab, sondern soll auch als Aufforderung für ideologisch verbundene Gruppen verstanden werden, ebenfalls aktiv zu werden. Die Gründung rechtsterroristischer Gruppen mit dem Ziel eines Systemsturzes erfolgt nicht im luftleeren Raum, sondern steht auch mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in Verbindung. Vor allem die Tendenz rechtsterroristischer Aktivitäten im Milieu der verschwörungsideologischen Souveränist:innen ist stark gestiegen. Ohnehin haben die verschwörungsideologischen Proteste während der Covid-19-Pandemie in den vergangenen Jahren zu einem erheblichen Zuwachs im Milieu geführt. Wie sich diese Entwicklung weiter auf den Rechtsterrorismus in Deutschland auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Die rechtsterroristischen Aktivitäten der letzten Jahre gehen nicht nur auf Anschläge von festen Gruppen und Netzwerken zurück. Vor allem seit 2015 stellen allein ausführende Rechtsterrorist:innen in Deutschland eine wachsende Gefahr dar. Während bei Gruppierungen und Netzwerken in der Regel die ideologische Überzeugung als Tatmotivation ausgemacht werden kann, ist dies bei einzeln ausführenden Täter:innen anders. Oft lässt sich beobachten, dass die ideologische Überzeugung durch die Fokussierung auf eine (vermeintliche) psychische Erkrankung heruntergespielt oder ganz verkannt wird. Besonders drastisch zeigte sich dies bei dem Attentat auf das Münchener Olympia-Einkaufszentrum 2016. Erst drei Jahre später wurde die Tat infolge des Druckes von zivilgesellschaftlichen Initiativen und nach mehreren Gutachten als rechtsterroristisch eingestuft. Zuvor wurde die Tat trotz der bekannten rechtsextremen Einstellungen des Täters als Amoktat deklariert und, wie es in einem Gutachten der Rechtswissenschaftlerin und Kriminologin Britta Bannenberg für das Bayerische Landeskriminalamt heißt, auf die „Psychopathologie des Einzeltäter[s]“[9] zurückgeführt.
Die einseitige Beurteilung als psychisch erkrankten Einzeltäter verkennt jedoch die Bedeutung der zugrunde liegenden Ideologie. Eine 2019 veröffentlichte Studie von Paul Gill und anderen, die das Verhalten von einzeln ausführenden Terrorist:innen in Großbritannien im Zeitraum von 1995 bis 2015 untersuchte, stellte zusätzlich zu anderen Faktoren bei knapp einem Drittel eine psychische Erkrankung fest. Jeweils etwa 10 Prozent wurden mit Schizophrenie oder Affektstörungen diagnostiziert, dies jedoch in der Mehrheit der Fälle bereits vor Beginn der terroristischen Aktivitäten.
Die psychische Erkrankung als alleinige Ursache für einen rechtsterroristischen Anschlag anzuführen, birgt das Risiko, dass das ideologische Umfeld der Täterin oder des Täters unbeachtet bleibt. Zudem wird verkannt, dass die ideologische Motivation über die Auswahl der Anschlagsziele und damit auch über die nachhaltigen Folgen des Terrorakts für die Betroffenen entscheidet. Für Gerichte steht mit der Bewertung der psychischen Erkrankung vor allem die Frage nach der Schuldfähigkeit der oder des Angeklagten im Raum. Diese Einschätzung bleibt der entsprechenden Einzelfallbetrachtung überlassen. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass der Ideologie bei der Planung, Vorbereitung und Ausführung von rechtsterroristischen Anschlägen maßgeblich eine richtungsweisende Bedeutung zukommt.
Die Aufarbeitung von rechtsterroristischen Aktivitäten und Anschlägen in Deutschland wird immer wieder von Kritik an den ermittelnden Behörden begleitet. Grund dafür sind wiederholte grobe Ermittlungspannen, die Überforderung im Umgang mit Angehörigen und Überlebenden und das fehlende Wissen über Rechtsterrorismus, speziell in Online-Communitys. Einige konkrete Beispiele aus den letzten Jahren verdeutlichen dies.
Im Prozess um den Rechtsterroristen von Halle zeigte sich die gravierende Unwissenheit der Ermittler:innen des Bundeskriminalamts auf dem Gebiet der Online-Communitys. Mit den Ermittlungen in der digitalen Gaming-Szene wurde eine Polizeiangestellte betraut, die nach eigenen Aussagen keine besonderen Kenntnisse in diesem Bereich gehabt habe. Wäre der Anschlag von München bereits zu Beginn der Ermittlungen als Rechtsterrorismus eingestuft und hinsichtlich der Onlinevernetzung des Täters richtig eingeschätzt worden, hätte man hier möglicherweise bereits Kompetenzen aufbauen können. Auch bekannte Rechtsterrorismus verherrlichende Lieder wurden nicht in den Zusammenhang mit dem Anschlag gebracht, obwohl deutliche Parallelen zwischen der Tat und den Liedtexten zu finden sind. Internetkontakte des Angeklagten wurden nicht ermittelt. Beiträge des Attentäters auf dem Imageboard, in denen er unter anderem den Link zu seinem Livestream und seinen Schriftstücken veröffentlichte, wurden nicht gesichert. Selbst eine Woche nach der Tat wurde der Betreiber des Imageboards von den Ermittlungsbehörden nicht kontaktiert. Erst nach entsprechenden Medienberichten erkundigte sich das Bundeskriminalamt bei dem Betreiber. Jedoch waren zu diesem Zeitpunkt die Daten bereits gelöscht.
Nicht nur im Fall von Halle, bei dem Medien über weitere Onlinekontakte des Täters berichteten, die jedoch nicht in den Ermittlungsakten auftauchten, waren die Ermittlungen der Kontakte und Netzwerke der Täter:innen unzureichend oder fehlerhaft. Auch am Ende des Gerichtsprozesses um den ehemaligen Bundeswehrsoldaten Tim F., der wegen der Vorbereitung eines Terroranschlags verurteilt wurde, blieb lediglich die Erkenntnis, dass die Netzwerke weiter reichen dürften, als anfangs vermutet. Dazu gehörten einschlägige Chatgruppen sowie Kontakte mit einem ehemaligen NPD-Aktivist:innen. Nachermittlungen des Gerichtes hätten diese Netzwerke laut dem Richter nur „einigermaßen sichtbar“ gemacht.[10]
Bei dem rassistischen Anschlag von München 2016 drohte sogar eine Klage von amerikanischen Betroffenenfamilien gegen deutsche Ermittlungsbehörden: Ein rechtsterroristischer Attentäter tötete ein Jahr nach dem Anschlag in München bei einem Anschlag im US-Bundesstaat New Mexico in einer Schule zwei Menschen und anschließend sich selbst. Er pflegte über Online-Communitys einen regen Austausch mit dem Münchener Rechtsterroristen. Der Vorwurf: Die deutschen Ermittlungsbehörden hätten diese Informationen nicht weitergegeben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart räumte zwar 2020 ein, von dem Kontakt gewusst zu haben, dementierte allerdings, die Identität des amerikanischen Users gekannt zu haben.
Im Fall des „Feuerkrieg Division“-Mitglieds Fabian D. wurden die Identitäten weiterer Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe, von denen zwei aus Bayern und eines aus Brandenburg stammen sollten, nicht ermittelt. Da Fabian D. als ein „Einzeltäter“ gewertet wurde, falle dies nicht in die Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft München. Lediglich mit dem BKA habe die bayrische Polizei Hinweise geteilt. Die Informationen zu einem brandenburgischen Mitglied wurden den dortigen Ermittlungsbehörden nicht übermittelt.
Aufarbeitungen vor Gericht zeigten zahlreiche Ermittlungspannen auf und stellte den Willen einzelner Ermittler:innen zur Aufklärung hinsichtlich möglicher rechtsterroristischer Strukturen infrage. Ermittlungspannen wurden vor allem im Fall von Nino K. deutlich, der 2016 selbst gebaute Rohrbomben vor einer Moschee in Dresden und auf dem Dach des Kongresszentrums in Dresden explodieren ließ. So konnten Schaulustige und Journalist:innen am Tag nach der Tat ungehindert über das Gelände der Moschee laufen. Auch die Befragung von Zeug:innen soll mangelhaft gewesen sein. Der erste Zeuge am Tatort, ein Rentner, wurde erst auf Druck des Gerichtes hin vernommen. Darüber hinaus ging die Polizei anfangs nicht von einer Explosion aus. Erst durch den Fund eines Metallsplitters in einer Abfalltüte Monate später ging sie diesem Verdacht nach. Der Fund wurde allerdings nicht dokumentiert, sondern von einem Brandgutachter gereinigt und nicht weiter auf Spuren untersucht. Auch die Testsprengungen der übrigen Rohrbomben wurden nicht ausreichend dokumentiert, sodass die Sprengungen wiederholt werden mussten.
Gegen die rechtsextreme Gruppe „Aryans“ ermittelte die Bundesanwaltschaft seit März 2018 wegen Terrorverdachts.[11] Die Gruppe fiel durch rechtsextreme Gewalt auf und gab sich streng hierarchisch und organisiert. Der als Anführer geltende Carsten M. Er und seine Freundin Martina H. standen wegen eines brutalen Angriffs auf eine Wandergruppe und der Jagd auf Gegendemonstrant:innen 2017 in Halle vor Gericht. Die Verhandlung warf einige Fragen auf. So kam heraus, dass H. zweimal über einen Bekannten aus der hessischen Polizei interne Polizeiinformationen zugespielt bekam. Außerdem fand die zuvor ermittelnde Staatsanwältin keinen Grund, auf die NS-Devotionalien in der Wohnung und die nationalsozialistische Überzeugung von M. einzugehen – auch nicht, als ihr hessische Ermittler:innen Informationen zu M.s Mitgliedschaft in der Neonazigruppe „Division Braune Wölfe“ gaben. Zudem wies die Staatsanwältin die Ermittler:innen an, drei Mobiltelefone von M. nicht auszuwerten, weil man bereits genug Informationen habe.
Die Aufarbeitung der Polizeiarbeit durch Angehörige und interne Berichte kritisierte bei den Anschlägen von Hanau und Halle zwei wesentliche Punkte: zum einen die Überforderung der Polizei in den Stunden nach den Anschlägen und zum anderen den Umgang mit Angehörigen. Insbesondere Letzterer führte unter Überlebenden und Angehörigen teilweise zum vollständigen Vertrauensverlust in die Ermittlungsbehörden. Oft wurde – wie im Fall von Hanau – die Aufarbeitung der Ereignisse nur auf Initiative von Angehörigen vorangetrieben: So attestierten ein Gutachten und auch ein von Journalist:innen veröffentlichter polizeiinterner Bericht den Ermittlungsbehörden in der Nacht des Anschlags eine deutliche Überforderung und prangerten an, dass die Angehörigen der Betroffenen von der Polizei zunächst als „potentielle Gefährder für den Vater“ des Rechtsterroristen eingestuft und mit Gefährderansprachen zusätzlich gewarnt wurden. Auch im Nachgang wurde das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden immer wieder erschüttert, wie der Fall von 13 der 38 in der Nacht eingesetzten SEK-Beamte:innen zeigte, die im Juni 2021 wegen ihrer Aktivität in Chats mit rassistischen und rechtsextremen Inhalten suspendiert wurden. In Halle zeichnete sich ein ähnliches Bild ab: Der Abschlussbericht der Landespolizei Sachsen-Anhalt stellte auch bei diesem rechtsterroristischen Anschlag eine deutliche Überforderung der Polizei fest. So hätten Einsatzkräfte wegen der Überlastung der Funkgruppe auf Privathandys umsteigen müssen oder Informationen seien nur verzögert weitergegeben worden. Vor allem der Umgang mit den Überlebenden sorgte für Kritik: Es habe keine Kommunikation seitens der Beamt:innen gegeben, „mangelnde Empathie“ und „geringe bis nicht vorhandene Kenntnis über jüdisches Leben“ sowie das Gefühl, bei den Durchsuchungen als Verdächtige behandelt worden zu sein. Außerdem seien die Betroffenen, als sie während des Anschlags den Notruf wählten, abgewiesen worden.
[1] Vgl. Decker, O., Kiess, J., Heller, A. & Brähler, E. (Hrsg.). (2022). Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten: Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?: Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Gießen. Zick, A., Küpper, B., Mokros, N., Achour, S. & Schröter, F. (Hrsg.). (2023). Die distanzierte Mitte: Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn.
[2] Siehe hierzu den Datensatz in „Right-Wing Terrorism in the 21st Century“ (2017) von Daniel Koehler vom German Institute on Radicalization and De-Radicalization Studies (GIRDS), der mit methodischem Vorgehen 90 Einträge rechtsterroristischer Aktivitäten zwischen 1963 und 2015 in Deutschland sammelt und einordnet.
[3] Hegghammer, T., & Ketchley, N. (2023). Plots, Attacks, and the Measurement of Terrorism. Journal of Conflict Resolution, 0(0). https://doi.org/10.1177/00220027231221536
[4] Vgl.: Dessecker, A., Fecher, L., Hirth, M. A., & Knäble, J. (2023). Strafverfahren nach dem Terrorismusstrafrecht: zu einer empirischen Untersuchung der Tatmotive verurteilter Personen. In Bliesener, T., Deyerling, L., Dreißigacker, A., Henningsmeier, I., Neumann, M., Schemmel, J., Schröder, C. P. & Treskow, L. (Hrsg.). Kriminalität und Kriminologie im Zeitalter der Digitalisierung. Mönchengladbach. S. 230f.
[5] In der RED speichern deutsche Ermittlungsbehörden seit 2012 Daten über gewaltbezogenen Rechtsextremismus und sind dazu verpflichtet, alle drei Jahre diese Statistiken zu veröffentlichen. Der letzte Bericht erschien 2023.
[6] Bundeskriminalamt. (2017). Bericht an den Deutschen Bundestag: Datenbestand und Nutzung der Antiterrordatei (ATD) und der Rechtsextremismus-Datei (RED) in den Jahren 2014–2017. S. 34.
[7] Bundeskriminalamt. (2023). _3. Bericht an den Deutschen Bundestag: Datenbestand und Nutzung der Antiterrordatei (ATD) und der Rechtsextremismus-Datei (RED) in den Jahren 2021–2023. _S. 50.
[8] ebd.
[9] Bannenberg, B. (2018). Die Amoktat des David (Ali) Sonboly. Kriminologische Betrachtung der Tat in München am, 22. Juli 2016. _Gutachten für das Bayerische Landeskriminalamt. _S. 77.
[10] vgl. Kleffner, H. & Meisner, M. (Hrsg.). (2023). Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern. Freiburg im Breisgau. S. 99f.
[11] Die der Gruppe „Aryans“ zur Last gelegten Gewalttaten und Vorwürfe sind vor dem Hintergrund der hier angeführten Kennzeichen von Rechtsterrorismus nach aktuellem Stand von 2024 vielmehr der rechtsextremen Gewalt zuzuordnen und deshalb nicht Teil der aufgeführten rechtsterroristischen Fälle. Weitere Ermittlungen hätten in diesem Fall eindeutigere Antworten hinsichtlich eines Terrorverdachts ermöglichen können.