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Methode

Da es keine einheitliche Erfassung in Deutschland gibt, sollen die in dieser Datenbank aufgeführten und eingeordneten Fälle dabei helfen, die Entwicklungen von Rechtsterrorismus in Deutschland aufzuzeigen. Dazu wurden offen zugängliche Quellen wie Presseberichte, Datenbanken, Kleine Anfragen, Prozessberichte und Pressemitteilungen von Polizei und Staatsanwaltschaften zielgerichtet ausgewertet, analysiert und eingeordnet.

1. Quellen

· Presseberichte: Da überregionale und lokale Medien viele für den Datensatz relevante Fälle abdecken, kommt ihren Berichten bei der Erhebung der Daten eine besondere Bedeutung zu. Indem Presseberichte einen bestimmten Sachverhalt zumeist mit detaillierten Hintergrundinformationen abdecken, sind ihre Informationen oft ausschlaggebend für die Einordnung als rechtsterroristische Aktivität.

· Datensätze: Das Center for Research on Extremism (C-REX) der Universität Oslo sammelt seit 2015 Fälle von rechtsextremer Gewalt und Rechtsterrorismus in Westeuropa seit 1990 und bündelt diese in der offen zugänglichen Datenbank „Right-Wing Terrorism and Violence“ (RTV). Die Daten werden mittels eines kombinierten methodologischen Verfahrens erhoben und jährlich aktualisiert. Das beinhaltet die systematische Auswertung öffentlicher Quellen und Datensätze, von Interviews mit Expert:innen und Aktivist:innen sowie der standardisierten Einordnung durch ein wissenschaftliches Team. Auch der Datensatz von Daniel Koehler vom German Institute on Radicalization and De-radicalization Studies (GIRDS) bietet in „Right-Wing Terrorism in the 21st Century“ (2017) umfangreiche Daten, sammelt 90 Einträge rechtsterroristischer Aktivitäten zwischen 1963 und 2015 in Deutschland und ordnet sie ein.

· Parlamentarische Anfragen: Kleine Anfragen von Parlamentarier:innen holen oft detaillierte Auskünfte von der jeweiligen Landes- oder Bundesregierung und deren Innenministerien ein, sodass mit den zusätzlichen Informationen eine Einordnung vorgenommen werden kann.

· Pressemitteilungen: Online verfügbare Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaften und Polizei konnten für die Erhebung der Fälle herangezogen werden. Da viele deutsche Staatsanwaltschaften jedoch nicht über ein Pressearchiv verfügen, nur selten Pressemitteilungen veröffentlichen oder diese nach kurzer Zeit von der Website entfernen, spielen diese Daten nur eine untergeordnete Rolle.

2. Auswahl

Die Erfassung als rechtsterroristische Aktivität in Deutschland erfolgte in einem mehrstufigen Verfahren. Dazu gehörte im ersten Schritt die Auswahl aufgrund

  • von strafrechtlichen Ermittlungen oder Anklagen der Staatsanwaltschaften nach dem Sonderstrafrecht des Terrorismus (Paragrafen 129a StGB, 89a StGB, 89b StGB und 89c StGB) sowie nach Paragraf 129 StGB („Bildung krimineller Vereinigungen“), Paragraf 83 StGB („Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“) und Paragraf 128 StGB („Bildung bewaffneter Gruppen“) gegen Personen oder Gruppen seit 2011, die auf eine rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Tatmotivation hindeuteten. Paragraf 91 StGB des Sonderstrafrechts des Terrorismus wurde in der Auswahl ausgeklammert, da die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat mit den Paragrafen 89a StGB oder 129a StGB zusammenfallen sollte, sobald der Verdacht der Ausführung einer Anschlagsplanung im Raum steht. In den wenigen öffentlich auffindbaren Fällen, in denen lediglich nach Paragraf 91 StGB ermittelt wurde, kann in Bezug auf die ausgeführten Charakteristika noch nicht von einer näher bestimmten Anschlagsplanung ausgegangen werden, sondern allenfalls von einer Vorstufe.
  • erfolgter Anschläge seit 2011, die dem Ermittlungsverdacht oder der gerichtlichen und behördlichen Feststellung nach terroristischen Taten sind und denen eine rechtsextreme Tatmotivation auch in Verbindung mit rassistischen und antisemitischen Ideologiefragmenten oder verschwörungsideologischen Fragmenten zugrunde liegt.
  • von Einzelpersonen mit Verbindungen zu Gruppierungen und Netzwerken seit 2011, die in ihrem Wesen seit 2011 eine rechtsextreme Ideologie vertreten.

3. Charakterisierung als rechtsterroristisch

Im zweiten Schritt erfolgt die Charakterisierung eines Falls als rechtsterroristisch. Dazu orientiert sich der Report an der Abgrenzung von Rechtsterrorismus zu rechtsextremer Gewalt anhand der Merkmale, die von dem Terrorismusforscher Jacob Aasland Ravndal und dem Polizeiwissenschaftler Tore Bjørgo aufgestellt wurden. Diese Charakterisierung wird sowohl auf tatsächlich durchgeführte Anschläge wie auch auf Anschlagsplanungen angewendet. Rechtsterrorismus muss demnach drei Kennzeichen aufweisen:

Ideologische Ursachen von Rechtsterrorismus finden sich im militanten Akzelerationismus, vigilantistischen Terrorismus, verschwörungsideologischen Souveränismus, Neonazismus, in Verschwörungsideologien, im Rassismus sowie Antisemitismus, der in Verbindung mit anderen rechtsextremen Ideologieelementen gebracht werden kann.

  • vorsätzlich geplante Tat

Die Tat geschieht nicht spontan, sondern wird zielgerichtet vorbereitet. Die Zeitspanne kann dabei sowohl mehrere Monate als auch wenige Stunden umfassen.

  • Gewalt soll psychologische Auswirkungen über das unmittelbare Opfer oder Ziel hinaus haben

Der Symbolcharakter der Tat steht im Vordergrund. Die Tat kann sowohl für sich sprechen als auch die Botschaft mithilfe vorbereiteter Bekennerschreiben an die Zielgruppe kommunizieren. Empfängerin der jeweiligen Botschaft soll die angegriffene Gruppe in ihrer Gesamtheit sein und die Verstetigung eines Angst- und Unsicherheitsgefühls im Alltagsleben auslösen. In einzelnen Fällen kann die Tat auch als Aufforderung an ideologisch verbundene Gruppen verstanden werden, ebenfalls aktiv zu werden (siehe Kapitel „Umsturzfantasien und verschwörungsideologischer Souveränismus“).

4. Ideologien

Die für die Zuordnung relevanten Ideologieelemente orientieren sich an verschiedenen von Wissenschaftler:innen herausgearbeiteten Kennzeichen von Rechtsextremismus. Da einzelne Fällen unterschiedlich stark ausgeprägte Kennzeichen von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus aufweisen, wurden die entsprechende ideologischen Strömungen gesondert herausgearbeitet, um eine spezifischere Einordnung zu ermöglichen. Dazu wurden auch Forschungserkenntnisse zu Verschwörungsideologien und dem verschwörungsideologischen Souveränismus eingearbeitet.

4.1 Militanter Akzelerationismus

Täter:innen aus dem Bereich militanter Akzelerationismus gehen davon aus, dass westliche Demokratien unweigerlich kurz vor dem Zusammenbruch stünden. Ihr Ziel ist es, diesen Zusammenbruch unter anderem mit gewalttätigen Aktionen zu beschleunigen. Dazu werden rechtsterroristische Anschläge befürwortet, die gesellschaftliche Debatten weiter aufzuheizen und Konflikte verstärken würden. Dieser Ideologie zufolge bestünde durch einen Zusammenbruch der demokratischen Ordnung die Möglichkeit, nach einem „Rassenkrieg“ eine Herrschaftsform nach nationalsozialistischem Vorbild aufzubauen. Ausführliche Informationen zum militanten Akzelerationismus bietet die gleichnamige CeMAS-Publikation von 2022.

4.2 Vigilantistischer Terrorismus

Mit dem Begriff „Vigilant“ ist ein „Anhänger einer Bürgerwehr, die das Recht in die eigenen Hände nimmt“[1], gemeint. Vigilantistischer Terrorismus, oder auch Terrorismus von Bürgerwehren, bezeichnet Gewalttäter:innen, die vorgeben, „am Staat vorbei, unter Verletzung der Gesetze, die bestehende soziale Ordnung zu schützen“[2]. Anhänger:innen dieser Ideologie ziehen die Legitimation ihrer Taten aus der Überzeugung, im Namen eines allgemeinen „Volkswillens“ zu handeln, den der Staat nicht umsetze oder nicht umsetzen könne. Deshalb bedürfe es einer Form von Selbstjustiz, um eine vorherige Ordnung wiederherzustellen. Primäres Ziel des vigilantistischen Terrorismus sind Minderheiten oder politische Gegner:innen, denen gegenüber der „Volkswille“ einer vermeintlichen Mehrheit ausgedrückt werden soll. Die terroristische Tat wird als Ausdruck der Verteidigung gesehen, die einen vermeintlichen Grundzustand wiederherzustellen sucht.[3] Die Gewalt richtet sich nur bedingt gegen den Staat, sofern dieser als von sogenannten „Volksfeinden“ vereinnahmt gilt. Vigilantistische Gruppen vernetzen sich größtenteils lokal. Sie beteiligen sich oft an rechten bis rechtsextremen Protestgeschehen und finden darin motivierende Bestätigung.[4]

4.3 Verschwörungsideologischer Souveränismus

Verschwörungsideologischer Souveränismus eignet sich als Überbegriff für eine Überzeugung, wonach die herrschende gesellschaftliche und politische Ordnung abgeschafft werden müsse, um eine vermeintlich fehlende individuelle oder Volkssouveränität (wieder-)herzustellen. Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung wird dabei als Mittel einer globalen Verschwörung angesehen, welche die Eigengruppe zu vernichten sucht. Völkischer Antisemitismus bildet, besonders in der Vorstellung einer jahrhundertealten „jüdischen Weltverschwörung“ gegen die nicht jüdischen Deutschen, ein zentrales Element dieser Ideologie. In Deutschland werden verschwörungsideologische Souveränist:innen oft als „Reichsbürger:innen“ oder „Selbstverwalter:innen“ bezeichnet, wodurch allerdings ideologische und transnationale Schnittstellen in den Hintergrund treten. Ausführliche Informationen zur ideologischen Ausrichtung und der gegenwärtigen Entwicklung in Deutschland bietet die CeMAS-Publikation Durch die Krise ins Reich. Postpandemische Entwicklungen von ‚Reichsbürgern‘ und Souveränist:innen in Deutschland von 2023.

4.4 QAnon

Die Verschwörungsideologie von QAnon geht auf Posts in einem anonymen Onlineforum 2017 zurück, in denen teils kryptische Beiträge veröffentlicht wurden. Der Verfasser gab an, über die höchste nicht militärische US-Sicherheitsstufe „Q“ zu verfügen. Im Kern wird behauptet, dass eine verschwörerische dunkle und geheime Elite westliche Gesellschaften unter ihre Kontrolle gebracht habe. Insbesondere prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft werden satanistische, sadistische und pädophile Handlungen als Teil der Verschwörung unterstellt. Die Szene um QAnon sieht sich im Kampf gegen diese vermeintliche Elite und wähnt prominente Personen wie den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump auf ihrer Seite. Vor allem Kinder, die angeblich entführt würden, dienen der Emotionalisierung der Szene. Antisemitismus ist ein wesentlicher Teil dieser Verschwörungsideologie.[5]

4.5 Völkischer Nationalismus

Unter völkischem Nationalismus kann die Überzeugung verstanden werden, dass es einen vermeintlich homogenen „Volkskörper“ einer Nation gebe, der vor seiner Zerstörung durch äußere Einflüsse bewahrt werden müsse. Dieses Nationalverständnis geht mit der Auffassung einher, dass es eine vermeintlich natürlich gegebene Ungleichheit von Menschen gebe, die durch deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie bestimmt werde. Wegen der gefühlten Bedrohung des vermeintlichen „Volkskörpers“ sind auch menschenfeindliche Ideologiefragmente wie etwa Rassismus, Antisemitismus oder Misogynie Bestandteil des völkischen Nationalismus.[6]

4.6 Neonazismus

Neonazis versuchen, ihre Ziele nicht nur durch rechtsextreme Gewalt durchzusetzen, sondern auch durch terroristische Attentate als Teil der Strategie zur Errichtung einer Herrschaftsform nach nationalsozialistischen Vorstellungen. Antisemitismus, Rassismus, eine diktatorische Staatsform und die Verehrung des „Dritten Reichs“ gehören wesentlich zur Ideologie. Terroristische Aktivitäten haben sich in ihrer Strategie seit 1945 in Deutschland immer wieder verändert: von der Idee bewaffneter (Untergrund-)Bewegungen bis zum „führerlosen Widerstand“, wonach sich Neonazis in kleinen Terrorzellen organisieren und möglichst autonom Anschläge begehen sollen.[7]

4.7 Rassismus

Rassismus ist ein Wahrnehmungssystem, das zwischen dominanten und dominierten Gruppen unterscheidet und flexible positive Eigenschaften der dominanten Gruppe zuschreibt. Die dominierte Gruppe hingegen wird mit starren negativen Eigenschaften verbunden, wodurch einzelne negative Merkmale auf die gesamte Gruppe projiziert werden. Diese Vorstellungen, zunächst auf „Rassen“ basierend, bündelt sich nun in der rechtsextremen Szene unter dem Begriff der „Kultur“. Kultur wird als Wesensmerkmal aufgefasst und mit denselben positiven wie negativen Eigenschaften verbunden. Indem die Unvereinbarkeit von Kulturen in der rechtsextremen Szene propagiert wird, werden Bedrohungsszenarien geschürt, die zu rechtsextremer Gewalt und rechtsterroristischen Taten führen können.

4.8 Verschwörungsideologien

Verschwörungsideologien lassen sich mit psychologischen und soziologischen Forschungsansätzen beschreiben. Für das Individuum bedeutet, einer Verschwörungsideologie anzuhängen, die Welt als Ort voller Verschwörungen wahrzunehmen. Dieser Glaube wird so weit in die Persönlichkeitseigenschaft aufgenommen, dass sich das Individuum in einer Welt glaubt, die von dunklen Machenschaften geprägt sei.[8] In der sozialpsychologischen Analyse werden vor allem die Konsequenzen sichtbar: Verschwörungsideologien versuchen, gesellschaftliche Widersprüche zu verschleiern. Zu Verschwörungsideologien gehören klare Zugehörigkeiten zu einer Eigen- oder Fremdgruppe und eine Einteilung in „gut“ und „böse“. Das nicht reale „Böse“ wird in der Regel personifiziert, wodurch antisemitische Narrative an diese Stelle treten, und bekämpft. Verschwörungsideologien beinhalten daher auch den Aufruf zu Aktionen gegen das vermeintlich „Böse“. Damit soll die gefühlte Bedrohungssituation beseitigt werden, die sich aus den gesellschaftlichen Widersprüchen ergibt.[9]

4.9 Antisemitismus

Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hat sich 2016 auf eine Arbeitsdefinition zu Antisemitismus geeinigt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Antisemitismus hat unterschiedliche Erscheinungsformen. Ihnen gemeinsam ist die Annahme, dass „der Jude“ Verschwörungsabsichten gegen die Menschheit hegt und zur Personifizierung alles Bösen gemacht wird. Wenn Israel als jüdisches Kollektiv gedacht wird und mit diesen antisemitischen Zuschreibungen bedacht wird, spricht man von israelbezogenem Antisemitismus.

4.10 Rechtsextremismus

Rechtsextreme Ideologien sind unterschiedlich. Grundsätzlich teilen sie jedoch die Vorstellung von ethnisch bedingten sozialen Ungleichheiten zwischen Menschen. Die Werte einer liberalen Demokratie werden zugunsten eines rein zu haltenden „Volkskörpers“ und eines starken Nationalstaates abgelehnt. Von dem Individuum wird eingefordert, sich dem Gemeinwohl unterzuordnen.[10] Unter diesen Oberbegriff fallen sämtliche der hier benannten und näher konkretisierten Ideologiefragmente und deren Kombination. Die Kennzeichnung wird in diesem Datensatz bei Fällen verwendet, in denen (noch) keine Hinweise zu näher konkretisierbaren ideologischen Ausprägungen vorliegen.

4.11 Unspezifisch

Unter die Einordnung „unspezifisch“ fallen alle nicht näher zuordenbaren (Verdachts-)Fälle, die in ihrer Tat(-vorbereitung) eine Gefahr für die demokratische Ordnung oder Gesellschaft darstellen. Die vorhandenen Hinweise auf die Täter:innen und/oder die Tatmotivation rücken den (Verdachts-)Fall begründet in die Nähe der anderen aufgeführten Ideologiefragmente. Wegen fehlender Informationen ist (noch) keine eindeutige Zuordnung möglich.

5. Besondere Schwierigkeiten bei der Charakterisierung von Anschlägen auf Asyl- und Geflüchtetenunterkünfte

Schwierigkeiten bei der Einordnung von Taten als rechtsterroristisch ergeben sich insbesondere in Bezug auf die zahlreichen Anschläge auf Asylunterkünfte in den Jahren ab 2014. Einzelnen Gruppierungen ist die Terrorismusabsicht nachweisbar, sodass sie im Report erwähnt werden. Vielen Anschlägen ist jedoch der Wille, sich psychologisch über das unmittelbare Opfer oder Ziel hinaus auszuwirken, nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass jeder Anschlag psychologische Auswirkungen vor allem auf die Betroffenen hat – denn das ist zweifelsohne der Fall. Vielmehr geht es um die schwer erfassbare Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil der Anschläge nicht in erster Linie mit der Intention ausgeführt wurde, diese psychologische Auswirkung zu erzielen, sondern vielmehr Entwicklung einer strukturell vorhandenen rechten Gewalt ist, die sich lokal niederschlägt. In vielen Fällen wurden zudem die Täter:innen nicht ermittelt, sodass keine Aussagen über ihre Motive getroffen werden können. Weil die Anschläge auf Asylunterkünfte bisher noch unzureichend aufgearbeitet sind, sollte die eindeutige Einordnung als Rechtsterrorismus wichtiger Bestandteil weiterer Untersuchungen sein; solche Anschläge sind in dieser Auflistung als ausgeklammert von den sonstigen rechtsterroristischen Aktivitäten zu betrachten.

6. Bisher keine Erfassung von rechtsterroristischen Aktivitäten von „Ülkücü“-Anhänger:innen

Die rechtsextreme Bewegung der „Grauen Wölfe“, die sich selbst als „Ülkücü“-Anhänger:innen verstehen, was für „Idealismus“ steht, gilt nach der Alternative für Deutschland (AfD) als zweitgrößte rechtsextreme Organisation in Deutschland. Der Verfassungsschutz rechnet ihr mindestens 12.000 Anhänger:innen zu. Diese folgen der Idee eines großtürkischen Reichs und folgen einer Ideologie, die stark von Rassismus und Antisemitismus geprägt ist. Zur Durchsetzung ihrer Ideologie setzen Anhänger:innen auch auf Gewalt, die sich vor allem gegen Kurd:innen, Armenier:innen, Linke, Politiker:innen, Christ:innen und Jüdinnen:Juden richtet. In Deutschland sind beispielsweise 2022 Anschlagspläne gegen die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen bekannt geworden und 2016 zündeten Mitglieder des der „Ülkücü“-Bewegung nahestehenden Rockerclubs „Osmanen Germania BC “ eine Handgranate vor einer kurdischen Shisha-Bar. Ermittler:innen vermuteten einen Bandenkrieg, doch das Gericht konnte 2020 die Motive weder eindeutig klären noch die Drahtzieher des Anschlags ausfindig machen. Weil eine begründete Einordnung möglicher rechtsterroristischer Anschläge und Anschlagsplanungen in Deutschland durch „Ülkücü“-Anhänger:innen aufgrund fehlender (Sprach-)Kompetenzen im DSMT-Projekt bei CeMAS nicht möglich ist, werden solche Fälle bisher in der Datenbank nicht erfasst. Ein umfassendes Monitoring der Aktivitäten der türkischstämmigen extremen Rechten fehlt bis heute und sollte in Zukunft umgesetzt werden.

7. Autoren

Miro Dittrich

Miro Dittrich ist Rechtsextremismusforscher und arbeitet seit acht Jahren zu digitalen rechtsextremen Phänomenen. Bei CeMAS ist er Senior Researcher und leitet das Projekt „Digital Seismograph: Monitoring Terrorism“ zur Beobachtung rechtsterroristischer Phänomene in Deutschland.

Thilo Manemann

Thilo Manemann recherchiert als freier Journalist zum Thema Rechtsextremismus und arbeitet bei CeMAS im Projekt „Digital Seismograph: Monitoring Terrorism“ zur Beobachtung rechtsterroristischer Phänomene in Deutschland.

8. Fußnoten

[1] Akers Chacón, J. & Davis, M. (2007). Crossing the Border: Migration und Klassenkampf in der US-amerikanischen Geschichte. Berlin.

[2] Quent, M. (2016). Bürgerwehren: Hilfssheriffs oder inszenierte Provokation? [1. Auflage]. Amadeu Antonio Stiftung., S. 14.

[3] siehe Quent, M. (2016). Selbstjustiz im Namen des Volkes: Vigilantistischer Terrorismus. Aus Politik und Zeitgeschichte, 66(24–25), 20–26.

[4] siehe Pfahl-Traughber, A. (2022). Kapitel 4: Die Besonderheiten des gegenwärtigen Rechtsterrorismus – Entwicklungen von Einzeltätern und Gruppen nach dem NSU im Vergleich. In Jost, J. & Krause, J. (Hrsg.). Jahrbuch Terrorismus 2019–2021. Leverkusen. S. 117f.

[5] Ausführliche Informationen bietet die CeMAS-Publikation „Q VADIS? Zur Verbreitung von QAnon im deutschsprachigen Raum“ von 2022.

[6] Vgl. Keil, D. (2024). Nationalismus. In: Virchow, F., Hoffstadt, A., Heß, C., Häusler, A. (Hrsg.). Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38373-2_28-1

[7] Vgl. Pfahl-Traughber, A. (2017). Kapitel 9: Vom „Werwolf“ über die „Turner-Tagebücher“ bis zum „Leaderless Resistance“: Konzepte im Rechtsterrorismus als Handlungs- und Organisationsanleitung. In Jost, J., Hansen, S. & Krause, J. (Hrsg.). Jahrbuch Terrorismus 2017/2018. Leverkusen. S. 213–230.

[8] Vgl. Nocun, K. & Lamberty, P. (2020). Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln.

[9] Vgl. Rathje, J. (2017). Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutschen. Münster. S. 35–38.

[10] vgl. Jaschke, H.-G. (2001). Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder. Wiesbaden. S. 30.