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Executive Summary

Die Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 verdeutlichte, wie hoch professionalisiert rechtsterroristische Netzwerke ungestört über Jahre hinweg in Deutschland morden konnten – auch im Hinblick auf das bis heute nicht gänzlich aufgeklärte Zutun von Ermittlungsbehörden und Nachrichtendiensten. Der NSU und die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre wie in Halle oder Hanau stehen exemplarisch für die gegenwärtige Entwicklung im deutschen Rechtsterrorismus, der seit 1945 immer wieder von strategischen Neuorientierungen und der Weiterentwicklung nationaler und internationaler Netzwerke geprägt ist: angefangen beim „Werwolf-Konzept[1]“ zum Ende des Zweiten Weltkriegs über hierarchische bewaffnete Bewegungskonzepte und autonom handelnde Terrorzellen bis zu militantem Akzelerationismus und einzeln ausführenden Täter:innen.[2] Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine gradlinige Entwicklung einer homogenen rechtsterroristischen Szene. Die Szene ist in der ideologischen Ausrichtung, den Strategien, der Zusammensetzung und den Netzwerken komplexer geworden. Diese Zunahme an Komplexität verdeutlicht auch die gestiegene Gefahr, die von Rechtsterrorismus ausgeht.

CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) hat nun erstmals systematisch die rechtsterroristischen Aktivitäten in Deutschland seit 2011 erfasst. In Form einer Online-Datenbank, die laufend aktualisiert wird, werden die Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, um weitere umfassende Analysen zu ermöglichen. Mit Blick auf die in der Datenbank erfassten rechtsterroristischen Fälle, lassen sich folgende zentrale Erkenntnisse zur gegenwärtigen Entwicklung des Rechtsterrorismus in Deutschland gewinnen:

  • Strafverfolgungsbehörden greifen häufiger auf die Paragrafen 129a („Bildung terroristischer Vereinigungen“) und 89a („Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“) des Strafgesetzbuches zurück, wenn es um Ermittlungen wegen des Verdachts auf rechtsterroristische Betätigungen geht.
  • Der militante Akzelerationismus und der verschwörungsideologische Souveränismus stellen verstärkt Strömungen im Rechtsterrorismus der vergangenen Jahre dar.
  • Die Rolle der Vernetzung über Messengerdienste, soziale Medien oder Online-Communitys hat in den letzten Jahren zugenommen.
  • Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima sehen Rechtsterrorist:innen eine Chance zur Realisierung von Umsturzfantasien. Die gestiegene Zustimmung zu rechtsextremen Narrativen und der Zuwachs in der rechtsextremen Szene in Deutschland wird den ansteigenden Trend rechtsterroristischer Aktivitäten unterstützen.
  • Der Rechtsterrorismus geht nahezu ausschließlich von Männern aus. Aber auch Frauen können in der Vernetzung und Organisation eine Schlüsselrolle einnehmen – gerade im Bereich des verschwörungsideologischen Souveränismus und des vigilantistischen Terrorismus.
  • Radikalisierte Minderjährige stellen eine immer größere Gefahr dar. Sie vernetzen sich online und werden in rechtsterroristischen Online-Communitys zu Anschlägen radikalisiert.

[1] Im Sinne des „Werwolf-Konzeptes“ sollten ab September 1944 partisanenähnliche Untergrundorganisationen Anschläge auf Armeeangehörige der Alliierten, „Kollaborateure“ und „Verräter“ begehen. Das Konzept zeigte jedoch wenig Wirkung und diente in erster Linie Propagandazwecken.

[2] Für einen guten Überblick über die Entwicklung von deutschem Rechtsterrorismus siehe: Pfahl-Traughber, A. (2017). Kapitel 9: Vom „Werwolf“ über die „Turner-Tagebücher“ bis zum „Leaderless Resistance“. Konzepte im Rechtsterrorismus als Handlungs- und Organisationsanleitung. In Jost, J., Hansen, S. & Krause, J. (Hrsg.). Jahrbuch Terrorismus 2017/2018. Leverkusen. S. 213–230.